Etwas über die Laboranten

“... Bedenklicher als das Wildern und Wildfischen ist ein anderer Erwerbszweig in diesem Tal, der auch mit dem Wald zusammenhängt, wenngleich nur locker:
Das Laborantenwesen!
Volksmedizin gibt's ja überall auf Erden, unter den Eskimos und den Kamerunern, den amerikanischen Rothäuten und den Rixdorfern; in abgelegenen Winkeln der Erde – wie dieser hier – wuchert sie nur eben stärker. Gegen alles Siechtum des Körpers, alle Grausamkeit der Natur, alle Tücken der Menschen versucht man's hier wie überall vor allem mit dem Besprechen. Laborant Die uralten Feuer- und Wassersegen gehen noch von Mund zu Mund; da in neuester Zeit auch freiwillige Feuerwehren gebildet und Dämme gebaut wurden, so ist dies unschädlich; auch die Schutzsprüche gegen den bösen Blick, gegen wütende Hunde oder die Sperlinge, welche die Saat aus der frischen Furche picken, haben noch niemand geschadet. Schlimmer ist es schon, wenn die Leute ihr bißchen Vieh, statt es bei der Viehassekuranz anzumelden und in Krankheitsfällen den Tierarzt zu rufen, dadurch geborgen glauben, daß sie ihm den Segen, auf Papier geschrieben, zu fressen geben. Die beliebteste Formel dieser Art, die vor Jahrhunderten in ganz Deutschland üblich war, jetzt aber nur noch abseits der großen Heerstraße der Kultur angewendet wird, ist bekanntlich: “Sator arepo teret opera rotas“, was von vorn und hinten gelesen denselben Unsinn gibt. Das Schlimmste aber ist natürlich, daß sie es bei Krankheiten der Menschen genau ebenso halten. Giftmischer Zuerst das Besprechen, dann, wenn dies nichts hilft, Purganzen, daß ein Ochse davon zusammenbräche, Blutegel oder ein Aderlaß, dazu allerlei zum Teil recht bedenkliche Pflanzensäfte aus dem Wald; die harmlosesten Mittel sind noch die für Wunden: Arnika und Fichtennadelöl. Wie's nun geht: “Bauernmagen kann viel vertragen“; die Leute werden alt dabei, und daß im Wald tiefgeheime Kräfte wirken, ist uralter deutscher Volksglaube. Darum mühten sich schon im Mittelalter die Leute des Flachlands um die Heilmittel des Schwarzatals, bis sich ein findiger Kopf fand, der den Handel organisierte. J. G. Mylius hieß er und stammte aus Oberweißbach; seine Boten, die Öle, Fichten- und Schwefelbalsam vertrieben, nannte er Balsamträger; er starb um 1680 als schwerreicher Mann. An seine Stelle traten viele andere “Laboranten“, die dieselbe Ware erzeugten und bald durch Hunderte von Balsamträgern vertreiben ließen. Schwarzburgischer Balsamträger Im 18. Jahrhundert florierte das Geschäft in kaum zu schildernder Weise; die Königseer (so genannt, weil das Amt Königsee ihnen die Pässe ausstellte) überschwemmten ganz Mittel- und Osteuropa bis tief nach Polen hinein. Alfred Hermann als Meuraer Balsamträger Die harmlosen Pflanzenöle und die Kuriositäten, die sie feilboten (zum Beispiel Zigarren, die Harzwaldgeruch verbreiteten!), machten ihren Erfolg nicht; sie verkauften eben Mittel, die der Arzt nicht verschreiben wollte oder durfte: Aloe, Opium, Krotonöl, Arsenik, Quecksilber, Gummigutt usw. Die wachsende Fürsorge der Medizinalpolizei legte ihnen Hindernisse in den Weg; auch die heimische Regierung mußte schließlich, so ungern sie dies aus wirtschaftlichen Gründen in dem armen Lande tat, zum mindesten dem gröbsten Unwesen steuern, es blieb aber noch genug übrig. Um 1860 nahm der brave Keil in der “Gartenlaube“ den Kampf gegen die Laboranten auf; da griff auch die Regierung nochmals ein; nun deckt aber die Gewerbefreiheit das Unwesen.
Balsamträger Aus eigener Anschauung weiß ich da nichts; in ein Laborantenhaus Zutritt zu erlangen ist mir nicht gelungen; die Balsamträger aber, die einem in den Weg laufen, beteuern, sie hätten nur harmlose Sachen: Tannenpomade, Wacholdersaft, daneben Kindertropfen, Flußtinktur, Morrisonpillen usw. “Das hat schon vielen lieben guten kranken Nebenmenschen genützt“, sagte mir so ein Händler scheinheilig, aber da die Flußtinktur Aloe, die Kindertropfen Opium und die Morrisonpillen Krotonöl enthalten, so hätte ich diesem lieben guten gesunden Nebenmenschen gern eine Tracht Berichtigungen a posteriori gegönnt.
Mit alledem ist aber noch das Schlimmste nicht gesagt. “Jedes Laborantenhaus“, berichtet ein so unbedingt verläßlicher Gewährsmann wie Fritz Regel, “hat seinen Giftschrank, aus welchem Arsenik, rotes und weißes Quecksilberpräzipitat pfundweise, Strychnin lotweise in unbekannte Hände wandert.“ Ja, ja, der verwegene junge Mensch hatte nicht so unrecht: “Es ist gar viel erlaubt, wofür Zuchthaus gebührt. “

Karl Emil Franzos, 1901