Paulinzelle


Diese Sandsteinsäulen – sie mußten wie in ihrer Höhe so im Querschnitt gewaltig sein, weil sie die ungeheure Last der über ihnen aufsteigenden Quadermauern der Scheidewände tragen – sind der schönste Schmuck der Ruine. Wie sie so aufragen, über ihnen, von Säule zu Säule gespannt, die hohen, stolzen Rundbogen der mächtigen Mauern, fallen sie selbst dem stumpfen Blick durch das feine Ebenmaß der Dimensionen auf – ein Bauer, der, einen Sack Kartoffeln auf dem Rücken, durch die Ruine ging und mich zu den Säulen emporblicken sah, blieb stehen und teilte meine Freude: »Nech zu dicke, nech zu dinne, 's is doch gar zu scheene!« Aber schön ist auch der Schmuck jeder einzelnen Säule; durchweg in demselben streng romanischen Stil gehalten, zeigen doch Basen und Kapitelle innerhalb dieser Grenze große Abwechselung: Löwen-, Drachen- und Menschenköpfe in Relief, namentlich jene Fratzen, die vielleicht nur Kinder der Künstlerlaune sind, während man sie als absichtsvolle Verbildlichungen der Laster aufzufassen pflegt; dazu Eckblätter und eingemeißelte Ornamente von reicher Erfindung; nur das Schachbrett wiederholt sich oft. Selbst die plumperen Pfeiler, an denen es auch hier nicht ganz fehlt, während sie bekanntlich an Bauten derselben Zeit ausschließlich angewendet wurden, sind mit solcher Zierde reich bedacht. Wer sie nachzeichnen wollte, bekäme die schönste Mustersammlung der Kleinkunst dieses edlen herben Stils zusammen. Wie vor mancher Fassade der Renaissance beschäftigte mich auch hier der Gedanke: Wie kommt's, daß unsere Monumentalbauten, auch die reichsten, keinen solchen individualisierten Kleinschmuck aufweisen? War damals die Welt an Talenten reicher, oder hatten diese Talente mehr Zeit, oder mußten sich damals Talente mit so bescheidenen Aufgaben begnügen, die sich heute an Größerem betätigen können? Es kommt einem Wunder gleich, wenn man erwägt: das haben in einer rohen, armen, dunklen Zeit Steinmetzen in einem abgelegenen Winkel der Erde vollbracht, wo es so gut wie völlig an Vorbildern fehlte! Der größte Schmuck der Kirche aber, zugleich nächst dem Triangel am Erfurter Dom das stolzeste Werk deutscher Baukunst in Thüringen, ist das Hauptportal. Es ist in der Anlage einfach und klar wie der ganze Bau: vier nach innen sich verjüngende Rundbogen, die zur Rechten und Linken auf je vier Säulen aufstehen: das ist alles. Aber wie schön sind auch hier die Maße, wie feierlich und anmutig zugleich der Gesamteindruck; wahrlich, durch eine solche Pforte möchte man gern treten. Statuen, wie sie schon eine etwas spätere Zeit gern an den Eingang der Gotteshäuser stellte, fehlen hier noch; doch sind die Säulen (hier attische, im Langhaus ionische) an Schaft und Fuß besonders reich geschmückt; ein kräftiges Gesims über den Säulen bindet sie untereinander und mit den Bogen schön zusammen. Im Giebelfeld über dem Eingang, also vom innersten Bogenrund umschlossen, sind Spuren eines Wandgemäldes zu sehen; andere haben hier noch vier Figuren unterschieden, ich trotz eines vortrefflichen Glases nur eine Maria mit dem Jesuskind. Auch sie werden wohl bald verschwunden sein. Alles andere aber bleibt sicherlich für viele Geschlechter aufrecht – das Wort »ewig« sollte sich ja der Mensch überhaupt abgewöhnen, und in Ruinen kann es einem vollends nicht über die Lippen treten: für ewige Zeiten war ja hier einst alles erbaut... Das Ländchen ist arm, das Fürstenhaus gewiß nicht reich – was sind in heutiger Zeit hunderttausend Taler Zivilliste für einen regierenden Herrn! –, aber für die Ruine geschieht das irgend mögliche. Immer wieder werden eiserne Tragpfeiler eingezogen, Drahtseile gespannt, wankende Mauern abgetragen und mit demselben Material neu aufgeführt. Diese Sorgfalt entfernt auch alles Gesträuch von den Mauern; hier gibt's keinen uralten Efeu, selbst die Bäume werden in respektvoller Entfernung gehalten. Mit Recht, man weiß, welche Schädlinge Efeu und Wurzelwerk für bröckelnde Mauern sind. Stimmungsvoll bleibt die Ruine trotzdem, sogar – die Angebetete des geölten Meyer soll recht behalten – romantisch. Ansichtskarte von Paulinzella Ein Wunderbau im einsamen Waldtal – das war mein erster Eindruck. Aber auch er vertiefte sich mir nur, je näher ich den Bau kennenlernte, je genauer ich Zeit, Ort und Menschen erwog. Noch heute ist das Rottenbachtal ein rauhes, abgelegenes, spärlich bewohntes Tal mitten zwischen unabsehbaren Forsten; die wenigen Bewohner, die das Dörfchen einst hatte, dankte es nur dem Kloster, wie es heute die Bahnstation nur der Ruine verdankt. Und nun erwäge man vollends, was Thüringen um 1100 war: eine schwach besiedelte, nicht allzulange vorher den Slawen entrissene Mark, um die von Erfurt aus Mainz, von Meißen aus Sachsen mit den einheimischen Grafen blutig stritten, gerade in jenen Tagen die Stätte schlimmster Rechtlosigkeit in Deutschland und gewiß auch mit der geringsten Kultur. Und in einem bergigen, waldigen Winkel dieser Landschaft, die kurz vorher aufgehört hatte, Grenzmark zu sein, erstand ein Dom, dessengleichen es damals wenige gab; Monreale in Sizilien, Cluny in Frankreich sind wie seine Vorbilder so seine Rivalen; die Hirsauer Kirche konnte sich mit ihm nicht messen. Und sagt man sich: der Plan sei aus Hirsau gekommen und hier eben nur viel prächtiger ausgeführt worden, so ist's doch zwischen Hirsau in Schwaben, damals dem reichsten und kultiviertesten deutschen Lande, und Paulinzelle in Thüringen, damals dem ärmsten und rohesten, ein Abstand und eine Kluft, die zu überbrücken scheinbar wieder ein Wunder gehört. Es war aber nur der eherne Wille einer brünstig frommen Frau von verzehrendem Ehrgeiz. Nur achtzehn Jahre nach ihrem Tode hat ein Mönch ihres Klosters, Sigeboto, ihre »Vita« geschrieben; die Zeit war für eine richtige Legendenbildung noch zu kurz; so sind es erst wenige Wunder und Visionen, die der Wackere berichten kann; durch dies Gerank der Phantasie vermögen wir die Gestalt zu erkennen, wie sie wirklich war, und das ist hier gut, denn diese Wirklichkeit ist, recht besehen, interessanter, als es alle Dichtung wäre. Die Tochter reicher und vornehmer Eltern – ihr Vater Moricho, vermutlich aus dem Geschlecht der Schwarzburger, war Truchseß an Kaiser Heinrich IV. Hofe –, fühlt sich das begabte, freilich, wie es scheint, unschöne Mädchen früh von aller Weltlust angewidert und will in ein Kloster gehen. Der Wille der Eltern zwingt die Sechzehnjährige zur Ehe mit einem weitaus älteren Gatten, dem sie nur eine kalte, freudlose Genossin wird; all ihre Sehnsucht ist die Nonnenzelle. Zu fromm, seinen Tod zu erflehen, fühlt sie doch wohl ihre innigsten Wünsche erfüllt, als er nach kurzer Ehe bei einer Feuersbrunst verunglückt. Wieder gelingt es nicht dem Zuspruch, aber dem Zwang der Eltern, die neunzehnjährige, noch unmündige Witwe zu einem neuen Ehebunde zu bestimmen; ihr zweiter Gatte ist gleichfalls ein Vornehmer, Ulrich von Schraplau. Weltlichen Sinns, minder schwach als sein Vorgänger, zwingt er die jungfräuliche Witwe zur Erfüllung ihrer Pflichten; sie gebärt ihm in sechs Jahren zwei Söhne und drei Töchter. An ihrer Denkweise ändert auch die Mutterschaft nichts; in ihren Augen ist sie sündhaft, und sie tut dafür Buße, indem sie all ihren Schmuck an Kruzifixe und Reliquienkästchen wendet, nur von Aschenbrot und Wasser lebt und sich unmäßig geißelt. Was nun in und zwischen den Zeilen der »Vita« zu lesen sieht, ist psychologisch höchst merkwürdig. Die fanatische Asketin, durch die Geißelungen und die schlechte Ernährung in ihren Nerven zerrüttet, in ihren häufigen hysterischen Anfällen ihrer Sinne nicht mächtig, ist andererseits eine überaus lebenskluge Frau von seltener Menschenkenntnis, die jedermann ihrem Willen zu beugen weiß. Aus dem tapferen, fröhlichen Gatten macht sie allmählich einen zerknirschten Büßer, obwohl der Biedere nichts zu bereuen hat als seine bescheidenen legitimen Ehefreuden; zwar ihrem Drängen, sie ins Kloster zu entlassen, bleibt er auch nun taub, weil er den fünf Kindlein die Mutter erhalten will, lebt aber nun neben ihr wie ein Bruder, steuert willig für Mönche und Nonnen und begleitet Paulina auf ihrer Wallfahrt nach Rom. Noch mehr, auch ihren einst durchaus weltlich gesinnten, zudem makellosen Eltern bringt sie die Erkenntnis der Sündhaftigkeit ihres einstigen ehelichen Verkehrs bei, obwohl die Kirche ohne diesen um eine Wohltäterin ärmer wäre, die einst sicherlich eine Beata, vielleicht gar eine Sancta sein wird.



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