Paulinzelle


Dies Ziel ihres leidenschaftlichen Ehrgeizes tritt immer klarer hervor; sie sucht sich in Rom beim Papste durch Stiftungen, die das Erbe ihrer Kinder arg schmälern, in Gunst zu setzen; von dort dürfen die Eltern heimkehren, der Gatte muß sie zur Wallfahrt nach San Jago in Spanien begleiten. Nun völlig ihr Sklave, setzt er gleichwohl ihrem Wunsche, Nonne zu werden, auch jetzt noch Widerstand entgegen, stirbt aber bald. Damit ist das letzte Hindernis ihrer ehrgeizigen Pläne hinweggeräumt. Sie wendet sich zum zweiten Mal nach Rom, weiht den Papst in ihren Plan, ein großes Kloster in Thüringen zu begründen, ein und erhält von ihm Empfehlungsbriefe an die schwäbischen Äbte. Heimgekehrt, findet sie die Mutter tot und bestimmt den Vater, als Mönch im Hirsauer Kloster seine Tage zu beschließen, offenkundig in der Absicht, dadurch an diesem Kloster einen Rückhalt zu gewinnen. Dann geht sie ans Werk und begründet in einem wilden, gänzlich unbewohnten Waldtal, von dem die Sage geht, daß dort der Teufel hause, an der Stelle, wo sich heute der Dom erhebt, eine der heiligen Maria Magdalena geweihte Kapelle; ringsum werden Zellen für Klausnerinnen, aber auch für Klausner errichtet. Natürlich will der Teufel aus seinem Stammsitz nicht gutwillig weichen; zwei Male deckt er das Dach der Kapelle ab – noch heut braust der Nordoststurm im Tal gewaltig –, als aber Hirsauer Mönche, die ihr der dortige Abt zur Hilfe gesendet, das Dach kunstgerecht festigen und der Bischof von Merseburg den Bau weiht, kann der Teufel nicht mehr ans Dach. Mit Vorliebe zieht Paulina bußfertige Adelige heran; vielleicht, weil sie glaubt, daß ihr Seelenheil am meisten bedroht sei, wahrscheinlicher, weil sie nun alles daran setzt, die nötigen Mittel für den geplanten Prachtbau zusammenzuscharren; wer hier Aufnahme finden will, muß sein irdisch Gut dem Kloster vermachen. Dem gleichen Zweck dient es, wenn sie ihre Kinder, denen Ulrichs Güter zufallen – sie selbst hat ihren stattlichen Besitz ungeteilt dem Kloster verschrieben –, nach Paulinzelle zu ziehen sucht. Anfangs ohne Erfolg, aber allmählich gelingt ihr auch dies. Paulinzella Von ihren Töchtern wird zuerst die älteste, Engelsind, Nonne, die jüngste, Gisela, weigert sich hartnäckig und will heiraten, stirbt aber früh; die dritte, Bertrad, heiratet trotz der Abmahnungen der Mutter, aber nun wühlt diese so lange, bis sie den Gatten verläßt und nach seinem Tode gleichfalls Profeß ablegt. Von ihren Söhnen wird der ältere, Friedrich, ermordet, der jüngere, Werner, ein Liebling des Kaisers, ist von heftiger Abneigung, ja von Grauen vor der Mutter erfüllt und weist sie von sich; da verfällt er in eine tiefe Erschütterung des Gemüts – er hat an den Mördern seines Bruders grausame Blutrache genommen –, und als Paulina diese benutzt, folgt er ihr als Mönch ins Waldtal. So ist nun Ulrichs ganzes Erbe im Besitz der Siedelei, aber noch mehr: bald auch das ganze reiche Gut Morichos, des Vaters der Paulina; sie weiß ihre drei Geschwister zur Weltflucht und Enterbung ihrer Kinder zu bestimmen. Schwerer als mit ihren Kindern und Geschwistern hat es die unheimliche Frau mit den zugezogenen Fremden; sie trägt ihnen harte Arbeit auf; die Männer müssen unter Leitung der aus Hirsau zugewanderten Benediktiner den Wald roden, den Acker bestellen, die Frauen aber kostbare Gewänder sticken, die Paulina dann, auf einem Eselchen durchs Land ziehend, selbst verkauft, »also daß man sie«, berichtet Sigeboto, »für eine ärmliche Händlerin hielt«. Schon diese harte Fronde paßt nicht allen, zudem verweist Paulina in der Erkenntnis, »daß den Männern, die Gott wahrhaft suchen, das Zusammenleben mit Frauen sehr viel schadet«, die Klausner in sehr entlegene Wohnstätten, was weder diesen noch den Klausnerinnen gefällt, viele ziehen davon. Aber ihre Verschreibungen können sie nicht zurücknehmen, und so ist ihr Ausscheiden nur eine Förderung des frommen Werkes. Nach zehn Jahren ist endlich das Vermögen beisammen, das für eine Stiftung im geplanten Umfang nötig ist. Nun tut Paulina die letzten Schritte. Zum dritten Mal pilgert sie nach Rom und erkauft vom Papst große Privilegien für das künftige Kloster. Eine Siegerin, die alles erreicht hat, was sie angestrebt, kehrt sie heim, die Stiftung in aller Form zu errichten und unter den Schutz der Grafen von Kävernberg zu stellen. Aber dies letzte vollbringt sie bereits als Schwerkranke; sie ist beim Ritt über die Alpen vom Pferd gestürzt und hat einen Beinbruch erlitten, der nimmer heilen will. Gleichwohl zieht sie noch einmal in die Welt, nach Hirsau, dort aus den Brüdern den Abt und den Baumeister selbst zu erwählen. Auf halbem Wege, in Franken, erkrankt sie so schwer, daß sie im Kloster Münsterschwarzach bleiben muß; ihr Sohn Werner aber eilt nach Hirsau, wählt dort an ihrer Stelle die künftigen Leiter und Erbauer des Klosters, nimmt sie mit sich und eilt zu der Todkranken zurück. Auf ihrem Sterbelager trifft Paulina die letzten Bestimmungen und stirbt (14. März 1112) im stolzen Gefühl, ihr Lebensziel erreicht zu haben. Paulinzelle wird erstehen, nach der Regel und dem Bauplan von Hirsau, aber viel schöner und gewaltiger als das Vorbild. Und sie selbst wird sicherlich eine Beata, eine Selige der Kirche sein, vielleicht eine Sancta, eine Heilige. Dies ist die Geschichte der Gründung von Paulinzelle. Wem sie die Freude an dem herrlichen Bau verdürbe, der wäre kaum irgendwo vor Enttäuschung sicher. Alles Gewaltige wird nur durch Macht geschaffen, und Macht ist immer rauh... Noch ein anderes aber will nicht vergessen sein: wir können die Paulina von Schraplau nicht mit den Augen ihrer Zeit ansehen, auch wenn wir wollten, aber außer acht lassen dürfen wir nicht, daß sie die Tochter eines rohen Jahrhunderts war, dessen herbe Askese den natürlichen Gegenschlag gegen wüsten Sinnentaumel bedeutete. Freilich, bei allem Aufgebot unseres historischen Sinns werden wir vor der Gestalt an sich nicht jenen Respekt empfinden wie der Verfasser der »Bilder aus der deutschen Vergangenheit«. Aber gerade sein Urteil hätte ja sicherlich anders gelautet, wenn damals – 1886 – die Aufzeichnung des Sigeboto bereits bekannt gewesen wäre; sie ist erst drei Jahre später ans Licht getreten.



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