Im Schwarzatal


Ich war nun allein im Coupé, und während mein Blick (die Wolken ballten sich wieder, aber noch schien die Sonne) über das Bergland hinschweifte, in das wir sachte emporklommen, über die triefenden Tannen des Buchbergs zur Rechten, des Kesselbergs zur Linken, über die grauen raschen Wellen der Rinne und die Hütten von Köditz, da erwog ich in meinem Gemüte, wohin es mich mehr ziehe, in ein Luxushotel im Tal oder in einen alten, behaglichen Gasthof oben, wo ich »ins Volk« konnte, und war damit in einer Sekunde fertig. Bis Sitzendorf also wollte ich im Zuge bleiben und dann in einem Wägelchen nach Oberweißbach fahren. Aber da öffnete, als das Lokomotivchen immer langsamer, immer schwerer keuchend nicht mehr talaufwärts, sondern durch tiefe Einschnitte gegen Bechstein emporklomm, zur Wasserscheide zwischen Rinne und Schwarza, der Himmel alle Schleusen, daß ich vor lauter Plätschern, Prasseln und Gurgeln der Wasser kaum noch hören konnte, was die Waggonräder sagten. So ein Bergbahnchen hat keinen Sturmtakt wie ein Schnellzug im Flachland; das geht ganz behaglich: »Langsam, langsam, ich hab Zeit.« Aber was riet mir dies Orakel nun? Ich schwankte. Bald hörte ich ganz deutlich: »Königinnen, Banker – nein!« und dann wieder: »Nässe, Nässe, geh doch hin!« Und als bei der Einfahrt in den Schwarzburger Bahnhof der Regen wie eine Wand vor dem Coupéfenster stand, flüchtete ich unter aufgespanntem Schirm auf den Bahnsteig. Bahnhof Schwarzburg mit Blick zum Schloß Er war ganz menschenleer; nur der junge Stationschef mit roter Mütze, dem man sofort den ehemaligen Offizier ansah, ging händereibend auf und nieder, denn für einen Augusttag war's recht empfindlich kühl. Das Züglein glitt weiter, der Beamte wollte in seinem Büro verschwinden, da fragte ich ihn, ob es hier keine Omnibusse gebe. »Freilich«, erwiderte er, »aber wo stecken die Kerrels? Die sind in diesem sojenannten Sommer Jäste jar nich mehr jewohnt!... He, Wirtschaft!« Und darauf erschienen wie auf einen Zauberruf zwei Kutscher in triefenden Mänteln, der eine lang und dünn, der andere kurz und dick, und erhoben bei meinem Anblick ein betäubendes Gebrülle. »Thüringer Hof!« schrie der Dicke, »Weißer Hirsch!« der Dünne. Dem übergab ich meinen Koffer und fragte, ob ein Zimmer mit der Aussicht auf die Hirschwiese frei sei. Er bejahte, und die Konkurrenz bestätigte liebenswürdig. »Fünfzig solche Zimmer können Sie dort haben, aber Hirsche – hehe!« Es war ein wahrhaft diabolisches Lachen, das aber der »Weiße Hirsch« durch eine vernichtende Äußerung über die Kost des »Thüringer Hofs« in ein Wutgeheul verwandelte, worauf wir als Sieger abfuhren. Es ist ein langer Weg, denn der Bahnhof liegt hoch oben auf einer Berghalde, das Hotel aber auf dem Schloßberg, und so führt die Straße in Windungen hinunter und dann wieder empor. Da rechts und links nichts zu sehen war als die nassen Schutzdecken des Omnibus, so knüpfte ich ein Gespräch mit dem Kutscher an. Ob die Saison gut sei? Sehr gut, versicherte er, obwohl diesmal die Stammgäste fast ganz fehlten, »denn die Leipz'ger haben noch mit deme Krach z'schaffen und die Holländer tun alles Geld dene Buren geben. Aber wir sind ja 's feinste Haus in Thüringen, da darf's nimmer voll sein. Ja, wenn wir jeden nehmen täten wie der ›Thüringer Hof‹ – die nehmen sogar Engländer!« – »Ihr nicht?« – »Wenn sie kommen täten«, erwiderte er stolz, »würden wir sie abweisen tun, aber der ›Weiße Hirsch‹ is für die Buren, das weiß die ganze Welt, seit die Königin Wilhelmina hier war, und da fragen sie nich erst an!« Dann erzählte er von dem Aufenthalt der jungen Fürstin; die Wahrheit zu sagen, hatte ihm nicht so sehr ihr Trinkgeld als ihr Wuchs imponiert: »Rundere Mädelchen gibt's nich mal in Rudolstadt!« Ich fragte, warum der »Thüringer Hof« die Hirsche angezweifelt habe, sie stünden sogar im Baedeker. Er zuckte die Achseln. »So 'n Volk! Dem ist nichts heilig, auch der Bädéker (Paroxytonon) nich.« Aber während er so loslegte, verstummte er plötzlich, hielt die Pferde an und zog den Hut: uns überholte eben ein reitendes Paar, der Fürst und die Fürstin von Schwarzburg-Rudolstadt. Da sie auf Schloß Schwarzburg hausen, so bin ich ihnen seither fast täglich begegnet; er ein stattlicher, freundlicher Herr, immer in derselben Uniform, sie eine schlanke Dame, immer im selben Reitkleid. Man kann sich ein schlichteres Auftreten kaum denken.



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