Im Schwarzatal


Die Erbauung des Schlosses wird von der Sage auf Karl den Großen zurückgeführt; kein Wunder, im frühen Mittelalter wurde ihm fast alles zugeschrieben, was den Menschen verdienstvoll erschien. Denn es ist auf Erden mit dem Ruhm genauso bestellt wie mit dem Gelde; der Besitz des Reichen wächst ohne sein Zutun immer mehr, der des Ärmeren zersplittert sich und geht auf den Reichen über. Vielleicht auch stand hier schon zur Frankenzeit ein Kastell gegen die Sorben; die Lage spricht dafür, denn die Grenze war nahe und der Schloßberg ist an sich eine natürliche Festung: steil ragt er aus dem tiefgerissenen Tal empor, auf drei Seiten von der wilden, raschen Schwarza umschlossen. Dann, als die Slawen verdrängt waren, wurde es das Jagd- und Sommerhaus des Geschlechts, bis nicht der freie Wille, sondern die harte Notwendigkeit es vom 16. Jahrhundert ab auch zum Wintersitz machte: die Erbteilungen hatten den Besitz so zersplittert, daß wer Schloß und Dorf Schwarzburg bekam, kein anderes Obdach hatte. Aber damit nicht genug; als die Teilungen noch immer weiter gingen, wurde es Residenz und wichtigster Besitz zweier souveräner Grafen, die nun natürlich mittelst Vertrags ihr »Reich« gegeneinander abgrenzten, so gut es gehen wollte. Es sind zwei solche Urkunden erhalten, die Hesse in seinem Buch »Thüringen und der Harz« mitgeteilt hat; da ich den Schmöker hier auftreiben konnte und diese Grenzverträge eine köstliche Illustration der mittelalterlichen Zwergstaaterei sind, so teile ich einiges daraus mit. Als 1371 Johann II. von Wachsenburg-Schwarzburg und Günther XXII. von Schwarzburg-Schwarzburg die Burg teilten, bekam Johann ein Haus für sich und eins für seine Jäger; nicht größer war die Grafschaft Günthers, obwohl er der Sohn des deutschen Königs war; die Türme und Ringmauern, das Back- und Hundehaus sowie ein gewisser unscheinbarer, nicht gern zu nennender, aber unbedingt nötiger Raum waren gemeinsamer Besitz, was immerhin auf gutes Einvernehmen zwischen den beiden Souveränen schließen läßt. Achtzig Jahre später (1450) teilten Heinrich XXVI. von Schwarzburg-Arnstadt und Heinrich XXV. von Schwarzburg-Leutenberg das Schloß; das Reich des Sechsundzwanzigsten begann »am Pfeiler rechts vom Eingang« und ging »bis an die Mauer der Vogtei, wo selbige einen Riß zeigt«; dort begann die Monarchie des Fünfundzwanzigsten und endete am Pfeiler links. Gemeinsamer Besitz waren auch diesmal die oben genannten oder zart angedeuteten Lokalitäten. Wie man sieht, wurde der Riß in der Mauer wie etwas Unabänderliches, ja Heiliges betrachtet; ein Überstreichen mit Kalk hätte die Grenze verwischt und leicht einen Krach zwischen beiden Staaten verursacht, der angesichts des Umstandes, daß unentbehrliche Räumlichkeiten gemeinsamer Besitz waren, gewiß zu schlimmen Dingen, ja zu Katastrophen hätte führen können. Erwägt man, daß sowohl der Fünfundzwanzigste als der Sechsundzwanzigste sonst nur karges Gut ihr eigen nannten, so wird man sich von dem Glanz ihrer Hofhaltung leicht ein Bild machen können; der notleidendste Agrarier der Gegenwart ist dagegen ein Krösus. Gut, daß es dabei blieb und nicht oben noch ein drittes Reich gegründet wurde, sonst hätte sein armer Herrscher wohl gar nur über den gemeinsamen Besitz verfügt. Es kam anders; bald wurde Schloß Schwarzburg wieder nur ein Reich und, seit es 1584 an die Linie Schwarzburg-Rudolstadt kam, nur Sommerresidenz wie im frühen Mittelalter; des Winters hausten die Herren lieber in Rudolstadt, dem lustigen Nest an der Saale.
Die Heidecksburg zu Rudolstadt
Nur einer, Friedrich Anton, ein Zeitgenosse Friedrich Wilhelm I., kam auf den schrulligen, sein langes Leben lang hartnäckig festgehaltenen Einfall, das Schloß zum Sitz der Landesverwaltung zu machen; ein Land müsse regiert werden, gab er zu, aber ob dies von einer »Hauptstadt« oder von einem »Hauptschloß« geschehe, sei gleichgiltig. Nur der Brand des Schlosses (1726) verzögerte die Ausführung, und als es wieder aufgebaut war, war Friedrich Anton tot. Es ist also in seiner heutigen Gestalt ein Bau aus der Zeit, wo noch das Rokoko in Deutschland herrschte, wirkt aber in seiner Nüchternheit und Steifheit wie ein Vorläufer des Zopfstils; einige Partien, die später hinzukamen, namentlich der Mittelbau des westlichen Flügels mit seinen ionischen Säulen und korinthischen Pilastern zeigen diesen Stil in scharfer Ausprägung, namentlich auch in der rein äußerlichen Anfügung antikisierenden Schmucks an ungegliederte Kasernenwände. Der Bau ist natürlich von allen Höhen um Schwarzburg sichtbar, und das weißgraue gewaltige Gemäuer wirkt durch seine Lage, durch den Gegensatz zum Grün ringsum dem Auge immer freundlich; in der Nähe hat es wohl noch niemand schön gefunden. Aber gediegen und stattlich, sagt ich schon, ist es, und er auf dem Schloßhof steht, übersieht ein Städtchen im kleinen: eine Kapelle, ein Palais, ein Zeughaus, eine Schloßwache, Wohnhäuser der Beamten, Dienerhäuser, Ställe und Schuppen, alles praktisch und sauber und ebenso solid wie nüchtern. Selbst die offenbar kürzlich restaurierte Kapelle macht diesen Eindruck; im Innern ist sie mit schwarzen Marmor- und weißen Alabasterplatten geschmückt. Als ich eintrat, waren zwei Damen in der Kapelle. »Herrlich schön!« sagte die eine. »Und sieh nur: die preußischen Farben!« fügte die andere begeistert hinzu. Das letztere finde ich richtig, das erstere nicht. Unter der Kapelle ist eine Gruft, in der Schwarzburger Fürsten des 17. und 18. Jahrhunderts beigesetzt sind. Sie ist nicht zugänglich, aber ein Kaufmann aus Bremen erzählte mir an der Table d'hôte stolz, er habe sich durch Geld und gute Worte den Eingang verschafft. »Ordentlich appetitlich sieht's da aus«, versicherte er, »wie in einer Küche! Und wenn man so denkt: das waren einst Fürsten« – er hob den Zeigefinger – »regierende Fürsten, und jetzt sind sie tot! Denken Sie mal darüber nach: wie vergänglich ist irdische Größe!« Der Mann hat überhaupt viel für meine innere Vertiefung getan, einige andere Proben davon werde ich noch mitteilen.



nächste Seite

© 2001